Der Fall Egenberger

Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gegen Antidiskriminierung

Im Jahre 2021 bewarb sich Frau Egenberger auf eine ausgeschriebene befristete Stelle als Referentin beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung in Berlin. Gegenstand der Stelle war schwerpunktmäßig die Erarbeitung eines Parallelberichts zum deutschen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention durch Deutschland. In der Ausschreibung war als Voraussetzung die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche ausgewiesen. Diese Voraussetzung erfüllte die konfessionslose Bewerberin nicht und wurde nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Eingestellt wurde ein evangelischer Bewerber. In ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht Berlin sah sich die Klägerin wegen ihrer Konfessionslosigkeit durch die Nichteinladung diskriminiert. Frau Egenberger macht geltend, für den ausgeschriebenen Job sei die Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession nicht relevant gewesen.

Das Ev. Werk für Diakonie und Entwicklung berief sich dem gegenüber auf das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Art. 140 Grundgesetz i.V.m. Art 137 II Weimarer Reichsverfassung), ihre arbeitsrechtlichen Grundsätze selbst zu regeln.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) war mit diesem Fall befasst und legte dem EuGH die Frage nach der Auslegung der Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78/EG (RiLi) vor, die Arbeitnehmer vor Diskriminierung, auch wegen ihrer Religion, schützen soll. Nach § 9 Abs. 1 AGG ist eine Benachteiligung zulässig, wenn sie „…wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“

Fraglich war nun, ob diese bundesrechtliche Regelung mit der o.g. Antidiskriminierungsrichtlinie vereinbar ist.

Dies ist nach der Entscheidung des EuGH und der nachfolgenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG,  Urteil vom 25. Oktober 2018 – 8 AZR 501/14 –) nur der Fall, soweit § 9 Abs. 1 AGG die Benachteiligung aufgrund der Art der Tätigkeit ermöglicht (§ 9 Abs. 1, 2. Alt. AGG). Soweit § 9 Abs. 1, 1. Alt. AGG auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen abstellt, ist das Bundesrecht nicht vereinbar mit dem EU-Gemeinschaftsrecht. Das BAG hat dazu auch festgestellt, dass eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des Bundesrechts im Hinblick auf § 9 Abs. 1, 1. Alt. AGG nicht möglich sei. Das Bundesrecht ist insoweit nicht anzuwenden.

Im konkreten Fall bedeutete dies, dass die Frage nach der Zulässigkeit der Benachteiligung der Frau Egenberger daran zu beurteilen war, ob die Religionszugehörigkeit für die von der Klägerin gewünschte Position nach der Art ihrer Tätigkeit eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ (siehe Art. 4 Abs. 2 der RL 2000/78) darstellt.

Das BAG hatte daran erhebliche Zweifel, denn im konkreten Fall habe keine wahrscheinliche und erhebliche Gefahr bestanden, dass das Ethos der Diakonie beeinträchtigt würde. Dies folge im Wesentlichen aus dem Umstand, dass der jeweilige Stelleninhaber/die jeweilige Stelleninhaberin – wie auch aus der Stellenausschreibung ersichtlich – in einen internen Meinungsbildungsprozess beim Beklagten eingebunden gewesen sei und deshalb in Fragen, die das Ethos der Diakonie betrafen, nicht unabhängig habe handeln können. Auch die Ausübung der kirchlichen Autonomie sei nicht Gegenstand der ausgeschriebenen Referententätigkeit gewesen.

Das BAG geht damit über die bisherige verfassungsgerichtliche Rechtsprechung hinaus, nach der die Kirchen selbst bestimmen, was zum Kern ihrer Glaubenslehre und deren Bezüge in die Praxis gehört.